ETTR, die möglichst optimale Belichtung im RAW …

… oder lass uns mal ein schlechtes Bild machen! Warum das Bild schlecht aussieht, aber nicht schlecht ist, sondern sogar besser will ich in diesem Blog erklären und natürlich auch ein Beispiel liefern.

Eigentlich geht es darum, den Sensor der Kamera mit möglichst vielen Informationen zu befüllen oder sagen wir zu sättigen, um in der Nachbearbeitung die maximale Qualität erzielen zu können. Dieser Ansatz wird als ETTR (expose to the right) bezeichnet und ist es nach meiner Erfahrung wert, genauer betrachtet zu werden.

Das Histogramm

Um die Sache besser verstehen zu können, müssen wir wissen was ein Histogramm ist, was es macht und wie wir es verwenden sollten. Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen zwei Arten von Histogrammen. Dem RGB-Histogramm, welches die Farbverteilung der RGB-Werte darstellt und dem Luminanz-Histogramm was die Helligkeitsverteilung des Bildes zeigt.

Schaut man das Luminanz-, als auch das RGB-Histogramm eines Bildes an, so entdeckt man, dass beide Histogramme viele Gemeinsamkeiten haben aber nicht zwingend identisch sein müssen.

Zusätzlich taucht das Histogramm an unterschiedlichen Stellen bei der Erstellung eines Bildes auf. Im Sucher wird häufig ein Luminanz-Histogramm angezeigt (wie zum Beispiel bei der Fujifilm X-T2), welches die Helligkeitsverteilung im Bild darstellt. Dieses Histogramm wird in den Fuji Kameras aus dem Live-View erzeugt da noch keine RAW-Datei auf der Speicherkarte vorhanden ist. Schauen wir ein gemachtes Bild später in der Kamera an, dann ist es oft möglich sich ein RGB-Histogramm anzeigen zu lassen und wir sehen die Verteilung der einzelnen Grundfarben.

Entwickeln wir nun ein Bild im RAW-Konverter, dann erzeugt dieser aus der Interpretation der RAW-Daten erneut ein Histogramm. Wichtig in diesem Blog, sind aber die Histogramme welche durch die Kamera angezeigt werden.

In diesem Link ist die Interpretation des Histogramms sehr gut erklärt.

Wollen wir nun den Sensor optimal sättigen, müssen wir darauf achten das unser Histogramm im Optimum an der rechten Seite endet. Große Bedeutung hat dabei das Wort „endet“, es darf nicht an der rechten Seite überlaufen (dann geht die Kurve nach oben) und es darf auch nicht zu weit davon entfernt sein. Genauso verhält es sich im dunklen, also am linken Bereich des Histogramms.

Einfach ausgedrückt:

  • Ein Überlauf rechts, bedeutet ausgefressene Stellen im Bild = reines Weiß (255)
  • Ein Überlauf links, bedeutet abgesoffene Stellen im Bild = reines Schwarz (0)

Ich bediene mich hier mal der Bedienungsanleitung der Fuji X-T2, genauer gesagt am Update zur Firmware Version 3.0 um die Histogramme mal zu zeigen.

Fujifilm-XT2-Histogramme

Quelle: Fujifilm X-T2 Bedienungsanleitung Firmware

Eine, so glaube ich leicht zu merkende Analogie, ist ein Bierglas (oder gerne jedes beliebige andere Getränk). Ein Bierglas hat ein Schankmaß, welches dem rechten Anschlag des Histogramms entspricht und damit das optimale Maß der Sättigung (Füllstand) darstellt. Genau diesen Zustand gilt es zu erreichen. Schenken wir zu viel Bier in das Glas ein, dann kommt es zu einem Überlauf und wir haben die Sauerei auf dem Tisch, sprich das Bild ist technisch überbelichtet und es gibt Teile im Bild, die sich nicht mehr retten lassen. Es geht aber auch anders herum, wir schenken zu wenig Bier ins Glas ein und sprechen damit von einer nicht optimalen Sättigung des Sensors, dieser erwartet mehr (der Biertrinker übrigens auch).

Keine Regel ohne Ausnahme

Es gibt Motive bei denen partiell überbelichtete und partiell unterbelichteten Bereiche vorhanden sind. Das tritt unter anderem gerne auf, wenn die Sonne mit im Spiel ist und anders herum, wenn wir in der Dunkelheit fotografieren … beide Situationen vereint oftmals der klassische Sonnenuntergang in sich. Was ich damit sagen möchte ist, dass wenn mal das Histogramm am rechten Bereich anschlagen sollte, es sinnvoll ist herauszufinden welcher Bereich des Bildes den genau überbelichtet wird. Dabei unterstützen viele Kameras mit einer Überbelichtungswarnung, sprich blinkt das Zentrum der Sonne dann ist das in Ordnung und solange es wirklich nur das Zentrum, also der Sonnenball ist kann damit umgegangen werden. Die Sonne können wir mit anderen extrem hellen Lichtquellen gleichsetzen, etwa einem Flutlicht-Strahler bei einem Fußballspiel.

ETTR (expose to the right, nach rechts belichten)

Ist also keine extreme Lichtquelle im Spiel, dann gilt KEIN Überlauf rechts aber auch KEIN Platz rechts. Die Belichtung muss so genau wie möglich an den rechten Rand angepasst werden, aber auf keinen Fall darüber hinaus. Beim Bier, genau auf die Markierung des Schankmaßes nicht mehr aber auch nicht weniger. Eine technisch korrekte Belichtung wird als ETTR beschrieben.

Das Histogramm lügt …

Die Sache wäre recht einfach, wenn das Histogramm welches uns die Kamera anzeigt auch tatsächlich dem Belichtungsspielraum (den Tonwerten) der RAW-Datei entsprechen würde. Dem ist aber leider nicht so, die einzige Kamera welche nach meinem Kenntnisstand ein RAW-Histogramm anzeigt ist die Leica M Monochrom. Alle anderen Kameras bedienen sich bei der Ansicht des Bildes den Informationen welche aus dem, in das RAW eingebettete JPEG gewonnen werden, oder wenn das Histogramm im Sucher angezeigt wird dem Live-View. Wir sehen also ein JPEG-Histogramm, auch wenn wir „nur“ in RAW fotografieren.

… und wieso wir das Histogramm trotzdem verwenden

Das angezeigte Histogramm in der Kamera ist jedoch beeinflussbar, durch Dinge wie eine Filmsimulation, und eine Reihe weiterer Parameter welche eigentlich nur für das JPEG relevant sind und uns als RAW-Fotografen gar nicht zu interessieren haben. Allerdings können wir durch deren Einstellung ein Histogramm (sowohl im Live-View, als auch später bei der Betrachtung der Bilder in der Kamera) erzeugen, welches sehr nah an den Tonwertumfang des RAWs heranreicht. Das Zauberwort heißt hier eine möglichst flache Tonwertkurve zu generieren. Was bei der Fujifilm X-T2 durch das setzen der folgenden Parameter möglich ist.

  • Filmsimulation = Professional Negativ Standard
    (PRO NEG. STD) oder Eterna
    (Weiche Lichter und Schattenkontraste mit großen Tonwertumfang)
  • Ton Lichter (TON LICHTER) = -2
    (Flache Lichter-Kontrastkurve zur Darstellung vom mehr helleren Tonwerten)
  • Schattierung Ton (SCHATTIER. TON) = -2
    (Flache Schatten-Kontrastkurve mit hellen Schattentönen)

Diese Parameter lassen sich auf viele andere Kameras adaptieren, egal welcher Hersteller.

Damit kommt das angezeigte Histogramm sehr nah an das RAW heran.

Wieso machen wir den das eigentlich?

Gute Frage, welche ich mit einem Gespräch unter Fotografen beginnen möchte.

Wir hatten das Histogramm eines Bildes angeschaut und ich meinte „da ist rechts noch Platz, ich würde nochmals eine oder zwei Stufen weiter öffnen“, daraufhin meinte der Fotograf „, wenn ich im RAW-Format fotografiere ist das egal, dass ziehe ich im Konverter nach oben!“. Nun was meint er genau mit dem „nach oben ziehen“ … konkret geht es um die nachträgliche Korrektur einer zu knappen Belichtung im RAW-Konverter, indem der Belichtungsregler in den positiven Bereich verschoben wird. Er fügt also Licht / Helligkeit dem Bild hinzu.

Verteilung der Tonwerte im JPEG und im RAW

Während im JPEG und im TIFF eine annähernd lineare Verteilung der Helligkeit und damit der Tonwerte stattfindet, verhält sich ein RAW so gänzlich anders. Dort werden nämlich 50% aller Tonwerte in der obersten Blendenstufe, 25% in der zweiten, 12,5% in der dritten Blendenstufe und so weiter abgebildet.

image

Informationen welche im Bereich von 0 EV liegen, können damit deutlich feiner und besser verarbeitet werden, als Informationen welche zwischen -3 EV und -1 EV liegen. Da die Informatiker gerne mit dem Zählen bei 0 beginnen, sieht das dann wie folgt aus:

  • 0 EV = 2048 Tonwerte (hellste Bildbereich)
  • -1 EV = 1024 Tonwerte
  • -2 EV = 512 Tonwerte
  • -3 EV = 256 Tonwerte
  • -4 EV = 128 Tonwerte
  • -5 EV = 64 Tonwerte
  • -6 EV = 32 Tonwerte
  • -7 EV = 16 Tonwerte (dunkelste Bereich)

Die optimale Auflösung des Bereichs um 0 EV ist also unser erklärtes Ziel bei der Belichtung nach ETTR.

Ich denke jetzt ist es sinnvoll ein Beispiel zu betrachten.

Beispiel 1, Abendstimmung

Das folgende Bild gibt die Stimmung an diesem Abend sehr gut wieder, ist aber technisch zu dunkel belichtet.

Beispiel 1

(Fujifilm, X-T2 mit FUJIFILM XF14mmF2.8 R @14.0mm, 1/25s, f/20.0 und ISO200)

image

Im Histogramm ist zu sehen, dass viele Bildinformationen nicht im Bereich um 0 EV (EV0) liegen sondern die Kurve nach rechts flach ganz unten verläuft. Ein Bild mit dieser Belichtung ist ein Kandidat um im RAW-Konverter gerettet, sprich „nach oben gezogen“ zu werden. Was aber Konsequenzen nach sich zieht.

Beispiel 2, optimal belichtet aber ohne Stimmung

In diesem Fall erfolgte die Belichtung so, dass das Histogramm am rechten Rand beginnt. Also nach rechts, oder ETTR (expose to the right) belichtet wurde.

Beispiel 2

(Fujifilm, X-T2 mit FUJIFILM XF14mmF2.8 R @14.0mm, 1/25s, f/9.0 und ISO200)

image

Hier haben wir im Histogramm eine optimale Annährung an den rechten Rand. Lediglich das letzte gleisende Licht der Sonne über dem Bergkamm, hat zu einem kleinen Anschlag am rechten Rand geführt, was aber in diesem Fall kein Problem darstellt.

Der Vergleich

Vergleichen wir die beiden Histogramme, dann liegen beim 2ten Beispiel deutlich mehr Tonwerte bei 0 EV als das beim ersten Beispiel der Fall ist, es stehen also mehr Informationen zur Weiterverarbeitung zur Verfügung.

Blende 20 versus Blende 9, macht einen Unterschied von 2,22 Blendenstufen. Korrigieren wir also Bild 1 um 2,22 Stufen nach oben und verwenden die gleichen Werte für den Weißabgleich dann erhalten wir ein annähernd gleiches Bild. Annähernd ist hier die richtige Verwendung, da die Bilder nur auf den ersten Blick gleich sind. Das Rauschen von Bild 1 ist deutlich höher als von Bild 2, bei gleicher ISO.

_DSF7659_ON1

Beispiel 1 mit Weißabgleich und Korrektur im RAW-Konverter um + 2,22EV

_DSF7660_ON1

Beispiel 2, keine Korrekturen

In einer Vergrößerung um 200% sieht das dann wie folgt aus:

Beispiel 1 200%

Beispiel 1 mit 200% Vergrößerung

Beispiel 2 200%

Beispiel 2 mit 200% Vergrößerung

Der RAW-Konverter hat die Aufgabe. Bild 1 um 2,22 Blenden auf zu hellen erfüllt, aber zu welchem Preis? Genau, wir bezahlen hier mit einem stärkerem Bildrauschen. Woher soll der RAW-Konverter auch die Informationen nehmen, wie die Verstärkung erfolgen soll?

Ein Bier bitte

Kommen wir wieder zu unserem Bier zurück. Bild 1 entspricht einen „nur“ zu 50% gefülltem Glas Bier, Bild 2 ist korrekt bis zum Schankmaß gefüllt. Um hier einen Gleichstand zu erzielen, muss Glas 1 ebenfalls mit dem gleichen Bier entsprechend Glas 2 gefüllt werden. Die Information welches Bier den genau verwendet wurde, fehlt genauso wie die Temperatur und weitere Informationen. Fülle ich mit irgendeinem Bier nach, erreiche ich die Charakteristik von Glas 2 nur annähernd. Auf den ersten Blick ist das Ergebnis ok, bei genauerer Betrachtung aber schlechter wie das korrekt eingeschenkte Glas 2 oder eben Bild 2. Es hat sich also gelohnt das zweite Bild nach ETTR zu belichten.

Ein schlechtes Bild

Kommen wir nochmals zum Beginn dieses Blogs „lass uns mal ein schlechtes Bild machen“. Wie so oft im Leben gibt es nichts umsonst, sondern jedes Vorgehen ist mit Vor- und Nachteilen behaftet. Genau genommen sind beide Aufnahmen schlecht. Das erste, da dort Rauschen bei der Nachbearbeitung entstehen wird und das zweite, obwohl es technisch richtig belichtet wurde, weil es die Stimmung nicht wieder gibt.

Was also tun, wenn meine Absicht ist, nur ein halbes Glas Bier oder weiter gedacht ein stimmungsvolles und dunkles Bild zu bekommen? Richtig, vollmachen und austrinken wegtrinken bis ich den Pegel (die Helligkeit im Bild) erreicht habe. Für die Beispiele bedeutet das, lieber Bild 2 dunkler als Bild 1 heller zu machen.

Es ist einfacher Informationen aus einem Bild zu entfernen, also sie hinterher hinzuzufügen.

Dann doch noch die Abendstimmung

Die Abendstimmung im Bregenzerwald entwickle ich nun aus dem Bild 2, mit der Korrektur der Belichtung um eine Blende nach unten (-1 EV) und einer Reihe von weiteren Anpassungen. Wichtig dabei ist, das das Rauschen im Bild nicht zunimmt.

Hier sehen wir Bild 2, in einer zumindest nach meiner Erinnerung passender Stimmung. Ich habe die Belichtung um eine Blendenstunfe nach unten korrigiert, ohne dass dadurch das Rauschen im Bild erhöht wurde.

image

(Fujifilm, X-T2 mit FUJIFILM XF14mmF2.8 R @14.0mm, 1/25s, f/9.0 und ISO200)

Da wir hier schon beim Bier sind, Prost und vielen Dank fürs Vorbeischauen.

Euer Albfotograf

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